Dienstag, 23. Februar 2016

Fünf Jahre "Salon der Erinnerung" auf dem Alten St. Matthäusfriedhof

Von dem Veranstalter Gerhard Moses Heß erreichte mich dieser Artikel, den ich hier gern ungekürzt veröffentliche:
Gerhard Heß auf dem Alten St. Matthäusfriedhof
(Foto aus dem Besitz von G. Heiß)
"Einzigartig in Berlin ist der „Salon der Erinnerung“, eine monatliche Veranstaltungsreihe, die seit 5 Jahren in den Vereinsräumen des Fördervereins EFEU auf dem Alten Matthäus-Friedhof in Schöneberg stattfindet. Es geht um konkrete Erinnerungsarbeit vor Ort: Mit dem Salon solldas Andenken von Menschen belebt werden, die auf diesem Friedhof begraben sind – mögen sie nun als historische Persönlichkeiten berühmt sein oder weitgehend vergessen oder nur einem engen Kreis erinnernswert erscheinen. Auf dem Alten Matthäus-Friedhof, der in diesem Jahr 160 Jahre alt wird, sind seit 1856 viele Wissenschaftler, Künstler, Staatsbeamte, Unternehmer und Militärs sowie Vorkämpfer demokratischer Bewegungen, der Frauen-, Schwulen- und Lesben-Bewegung begraben.

    Bislang gab es Salons für: Carl Bolle, Norbert Boesche, Georg Büchmann, Minna Cauer, Adolph Diesterweg, Adolf-Henning Frucht, Lole Gessler, Helga Goetze, Ernst v. Harnack, Familie Herpich, David Kalisch, Margot Kippenberger, Werner Kilz, Wilhelm Loewe, Karl Wilhelm Mayer, Andreas und Hans Meyer-Hanno, Jaime-Tadeo Mikan, Libuse Monikova, Otto Morgenstern und seine Schwestern, Maina-Miriam Munsky, Hilde Radusch, Cornelie Richter, Rio Reiser, Gertrude Sandmann, Cord Schauenburg, Peter Sorge, Stephan Stolze, Bethel Henry Strousberg, Rudolf Virchow. 

Anlass für einen Salon der Erinnerung ist in der Regel, dass sich ein Geburtstag oder Todestag jährt. Den Anstoß gibt oft der Wunsch von Angehörigen oder Freunden, oft auch das Interesse, mehr zu erfahren über historische Persönlichkeiten, die zu Unrecht vergessen sind oder deren Bedeutung umstritten ist. Manche sind auch völlig vergessen, ihre Gräber aufgelöst, manche (Adolph Diesterweg, David Kalisch) haben aufgrund von völlig unverständlichen Beschlüssen des Abgeordnetenhauses ihren Ehrengrab-Status verloren , manche sind unversehens in den Focus öffentlicher Aufmerksamkeit geraten wie z.B. May Ayim durch die Umbenennung des Gröbenufers 2010.

Als Gäste laden wir Angehörige, KollegInnen und enge Freunde ein, die aus eigenem Erleben über den Verstorbenen berichten können, aber auch Fachleute, die sich mit Leben und Werk des Verstorbenen beschäftigt haben. Wenn Angehörige, KollegInnen oder Freunde teilnehmen, so können diese auch den Ablauf der Veranstaltung selbständig gestalten. Der Raum wird entsprechend dekoriert, und zur Gestaltung können Musik, Fotos, Video, Tondokumente und auch persönliche Erinnerungsstücke eingesetzt werden. Das wichtigste aber ist das Gespräch zwischen den Teilnehmern im Anschluss an Vortrag oder Lesung. Am Beginn oder auch am Ende des Salons gehen die Teilnehmer gemeinsam zum Grab und legen Blumen nieder.

Die Teilnehmerzahlen der Salons liegen zwischen 5 und 25 Personen, sie sind in den fünf Jahren kontinuierlich gestiegen, bleiben aber begrenzt aufgrund der intimen Räumlichkeiten.

Oft sind mit den Salons umfangreiche historische Recherchen verbunden oder werden durch sie erst angestoßen, d.h., es gelingt, Menschen oder Institutionen zu weiteren Forschungen anzuregen. Drei Beispiele:

• Otto Morgenstern, der in Theresienstadt ermordete Gymnasialprofessor, für den es auf unserem Friedhof einen Gedenkstein gibt, wird in Steglitz zwar durch eine kleine Straße geehrt. Unsere Salons aber haben eine junge Geschichtsstudentin und einen Laienhistoriker motiviert, in Zusammenarbeit mit dem Heimatverein Steglitz Morgensterns höchst vielseitige kulturpolitische Aktivitäten weiter zu erforschen. Nachforschungen im Literaturarchiv Marburg aber sind bisher an den Kosten gescheitert.

• Das Pelzhaus Herpich, in den 20er Jahren in Berlin ein Begriff (mit einem von Erich Mendelsohn erbauten modernen Kaufhaus an der Leipziger Straße), wurde begründet durch einen jüdischen Kürschner in der Königsstraße um 1800. Ausgehend von dem Mausoleum von Paul und Luise Herpich auf unserem Friedhof haben wir in unserem "Salon der Erinnerung" viele Fakten u.a. über die Beteiligung der Herpich-Kinder an der Widerstandsgruppe des 20.Juli zusammen-getragen - es ist uns aber noch nicht gelungen, jemanden zu motivieren, die noch immer weitgehend unbekannte Geschichte der Herpichs zu erforschen!!

• Wilhelm Loewe, Präsident des in Stuttgart auseinanderkartätschten Rumpfparlaments von 1848, nach acht Jahren des Exils amnestiert und schließlich Alterspräsident des Deutschen Reichstags, hat immer noch ein Ehrengrab auf unserem Friedhof, aber er wird so wenig in Ehren gehalten, dass zu seinem 200. Geburtstag weder Kränze niedergelegt noch Würdigungen geschrieben wurden. Wir aber haben mit einem Salon der Erinnerung versucht, ihn als Wegbereiter eines demokratischen Deutschlands in Erinnerung zu rufen - bis heute gibt es nicht einmal eine Biografie über ihn!

Es gibt noch viel zu entdecken auf dem Alten Matthäus-Friedhof. Für 2016 sind noch folgende Salons geplant:

Sonntag,  6.März, 12 Uhr
Jubiläum: 50. Salon der Erinnerung: Führung und Lesung: 
Theodor Kugler und der Dustere Keller
In einer düsteren Kaschemme unter dem Kreuzberg träumten im Vormärz junge Dichter von Freiheit und Demokratie
So 17. April 12 Uhr:
51. Salon der Erinnerung: Führung und Lesung: 
Die Militärdynastie der Kusserows

So 8. Mai 12 Uhr:
52. Salon der Erinnerung: Führung und Lesung:
Zum 120. Todestag von Heinrich von Treitschke: 
Ein Ehrengrab für einen unbelehrbaren Antisemiten
Treitschke, der preußische Hofhistoriograf, hat mit seinem Diktum "Die Juden sind unser Unglück" den Antisemitismus salonfähig gemacht und den Nazis die Stichworte geliefert - und hat trotzdem noch immer ein Ehrengrab des Landes Berlin!                  


So 12. Juni 12 Uhr:
53. Salon der Erinnerung: 
Werner Kilz zum 85. Geburtstag:
Flucht durch die Kanalisation und erster Mauer-Roman

So 10. Juli 12 Uhr:
54. Salon der Erinnerung:
Pelzhaus Herpich -
Vom jüdischen Kürschner zum Widerstand des 20. Juli

So 14. August, 12 Uhr  
55. Salon der Erinnerung:
Zum 20. Todestag von May Ayim - 
eine afrodeutsche Dichterin und Aktivistin

So 18. September, 12 Uhr   
56. Salon der Erinnerung:
Karl Otto von Raumer:
Ein Ehrengrab für den Begründer der Untertanenschule  

So 2. Oktober 12 Uhr  
57. Salon der Erinnerung:
Zum 165.Geburtstag von Hedwig Dohm -
die spitze Feder der Frauenbewegung

So 13.November 12 Uhr  
58.Salon der Erinnerung:
Zum 5. Todestag von Hartmut Häußermann -
Ein Stadtforscher als Vorkämpfer gegen die Gentrifizierung
.
              
So 4. Dezember, 12 Uhr  
59.Salon  der Erinnerung:
Zum 65.Todestag von Ernst Kamieth:
Ein Eisenbahner als Opfer des Kalten Krieges



Donnerstag, 18. Februar 2016

Die Sieger stehen fest! - Aeternitas-Medienpreis „Friedhof heute“

Seit Kurzen stehen die Sieger im Wettbewerb der Verbraucherinitiative Aeternitas e.V. von 2015 fest. Zum 1. Preis darf man die Radioproduktion des Hessischen Rundfunks (HR 2) „Der Friedhof im Zeitalter digitaler Unsterblichkeit“ beglückwünschen. Auf den 2. Platz kamen zwei Produktionen:  „Rendezvous auf dem Friedhof“ vom WDR-Fernsehens und der Beitrag „Seelenverwandte“ aus der Süddeutschen Zeitung. Die Beiträge der Sieger und die ausführlichen Jury-Begründungen sind unter www.aeternitas.de nachzulesen bzw. verlinkt (im Menüpunkt „Medienpreis“ unter „Presse“). 

Insgesamt gab es 111 Einsendungen von 99 Journalisten mit einer großen Themenvielfalt und hoher Qualität. Auch sie sollen, wenn die Autoren damit einverstanden sind, auf der Website der Verbraucherinitiative veröffentlicht bzw. verlinkt werden. Aeternitas kündigt außerdem schon jetzt an, dass auch 2016 ein Medienpreis „Friedhof heute ausgeschrieben werden wird. 

K

Freitag, 5. Februar 2016

Szenenwechsel im Museum für Sepulkralkultur in Kassel

Prof. Dr, Reiner Sörries bei der Tagung "Historische
Friedhöfe" 2015 in Kassel (Foto Leisner)
Gestern war die festliche Verabschiedung von Prof. Dr. Reiner Sörries, bisheriger Direktor des Sepukralmuseums und Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal in Kassel, und zugleich die Einführung des neuen Direktors Dr. Werner Tschacher.

Das Programm war umfangreich: Zahlreiche Grußworte standen auf der Einladung, in denen die Arbeit des scheidenden Direktors gewürdigt wurde. Reiner Sörries hat seit 1992 die Geschicke der AFD maßgeblich bestimmt und sowohl die Arbeit des Museums als auch der Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlich und kulturell ausgerichtet. Die Liste seiner Veröffentlichungen zur Sepulkralkultur ist außerordentlich umfangreich und er ist ein gesuchter Vortragsredner. Zwar geht er jetzt in den Ruhestand, doch lehrt er weiterhin an der Friedrich-Alexander Univerität Erlangen-Nürnberg (auf dieser Seite gibt es auch ein besseres Foto von Reiner Sörries als das Foto hier in diesem Post). Auch der AFD bleibt er verbunden. Er wird an ihrem Grundlagenbeirat teilnehmen und an dem noch nicht vollendeten Projekt "Großes Lexikon zur Bestattungs- und Friedhofskultur - Wörterbuch zur Sepulkralkultur" weiterarbeiten, dessen fünfter Band gerade im Druck ist. Zur Zeit steht allerdings der vierte Band noch aus, der jetzt gemeinsam erarbeitet werdens soll.

Während der Verabschiedung wurde die neue Ausstellung des Sepulkralmuseums "Einer geht noch" eröffnet mit Karikaturen von 33 Cartoonisten, die sich in ihren Werken dem widmen, was uns alle erwartet. Danach führte die Journalistin Petra Nagel ein Gespräch mit dem scheidenden und dem neuen Direktor, in dem es um Rückschau und Zukunftsideen ging. Der neue Direktor Dr. Werner Tschacher kommt aus Aachen, wo er als Kurator am Centre Charlemagne. Neues Stadtmuseum Aachen gewirkt und als Privatdozent für Mittlere und Neuere Geschichte geforscht und gelehrt hat.

Der Abschluss des festlichen Abends war Rainer Pause aus Bonn vorbehalten mit Auszügen aus seinem Kabarett "Das Letzte Gericht".

Ich persönlich wünsche Prof. Dr. Reiner Sörries alles Gute für seinen "Unruhestand" und freue mich, dass er der Sepulkralkultur nicht ganz verloren geht, und natürlich hoffe ich auf neue Impulse und interessante Begegnungen mit dem neuen Direktor und wünsche ihm viel Erfolg.