Dienstag, 10. Mai 2016

Grab und Memoria im frühen Landschaftsgarten


Cover von Grab und Memoria,
Wilhelm Fink Verlag
" 'Et in arcadia ego' - Grab und Memoria im frühen Landschaftsgarten" hieß die Tagung, die der Sonderforschungsbereich 644 (SFB) "Transformationen der Antike"vom 7. bis zum 8. Mai 2010 in Berlin veranstaltet hat. und deren Beiträge im letzten Jahr in einem Tagungsband publiziert worden sind. Sein Inhaltsverzeichnis und eine Leseprobe mit der Einführung und dem Beitrag von Horst Bredekamp sind im Internet veröffentlicht. Veranstalter der Tagung war das Unterprojekt B 4 des SFB mit dem Titel "Angestammte Antiken: Die Erfindung des 'englischen' Gartens und seine Vorraussetzungen". Damit dürfte der Rahmen der Tagung ausreichend definiert sein.

Das programmatische Ziel des o.g. Sonderforschungsbereiches an der Humboldt-Universität wird auf seiner Website als "die interdisziplinäre Kontextualisierung der produktiven Aneignungen und Transformationen antiker Wissenschaften und Künste" beschrieben. Vielleicht übersetzt man dieses Ziel am verständlichsten damit, dass mehrere Disziplinen gleichzeitig das jeweilige Umfeld erforschen, in dem zu bestimmten Zeiten wissenschaftliche und künstlerische Werke der Antike in das jeweils zeitgenössische Denken und Handeln übertragen worden sind? 

In diesem Blog muss die Frage gestellt werden, inwieweit die Gräber in den englischen Gärten mit der Geschichte der historischen Friedhöfe in Verbindung stehen. Zu diesem Thema gibt es in dem Tagungsband eine ganze Reihe von interessanten Beiträgen. Daneben aber stehen weitere Beiträge, die auf verschiedene Weise das Thema der Antikenrezeption in den Blick nehmen, wie zum Beispiel der Bericht von Horst Bredekamp zu "Bomarzo - Neues vom ältesten Lanschaftsgarten" oder die mit einer CD mit Musikbeispielen unterlegten Ausführungen von Joachim Kremer über "Trauer, Erinnerung und Trost – Musikalische Memoria in der Frühen Neuzeit".  

Die Mehrzahl der Beiträge widmet sich allerdings der Anlage von Gartengräbern im 18. Jahrhundert und ihrer Einbindung in kulturgeschichtliche Traditionen. Nach Italien zum angeblichen Grab des Vergil bei Neapel führt Salvatore Pisani. Er geht nicht so sehr auf die touristische Bedeutung dieses römischen Grabbaus ein, dessen Nachbildungen in einigen europäischen Landschaftsgärten stehen, sondern beschäftigt sich mit dem politischen Kontext in dem von Spaniern besetzten Königreich Neapel. Dadurch, dass er die Berichte von Reisenden mit denen der Einheimischen kontrastiert, wird deutlich wie das Grabmal vor Ort als ein wichtiges Merkmal der eigenen Geschichte rezipiert worden ist. Gleichzeitig bildet diese Grabstätte aber auch ein frühes Beispiel für ein landschaftlich gelegenes Grab, das von den Reisenden mehrerer Jahrhunderte besucht und als vorbildlich angesehen wurde.

Der Beitrag von Sascha Winter über das Totengedenken im Irrhain des Pegnesischen Blumenordens in Nürnberg um 1700 weist auf ein frühes Beispiel für die Bedeutung des Waldes in der Erinnerungskultur hin. Dort wurde zwar nicht begraben, aber der Wald wurde zu einer Art "Kirchhof"; einem Bezirk des Gedenkens und der Erinnerung, in dem anfangs Tafeln an den Bäumen aufgehängt und später sogar Monumente für verstorbene Mitglieder der Dichtervereinigung errichtet wurden.

Annette Dorgerloh - eine der drei Herausgeberinnen des Buches, zu denen außerdem Marcus Becker und Michael Niedermeier gehören - hat schon 2008 in ihrer Habilitationschrift „Strategien des Überdauerns: Das Grab- und Erinnerungsmal im frühen deutschen Landschaftsgarten“ untersucht und geht in ihrem Beitrag "Von der Todesfurcht zum Trost in der Natur. Grundlagen für die Entwicklung von Gartengräbern im aufgeklärten Zeitalter" darauf ein, wie einerseits am Ende des 18. Jahrunderts die Toten immer mehr aus der Öffentlichkeit verdrängt wurden - z.B. durch die Errichtung von Leichenhäusern und die Verlegung der Friedhöfe - und andererseits Erinnerung verstärkt "in einem arkadischen Natur- bzw. Gartenambiente lokalisiert" wurde.
Marcus Becker berichtet über das Grabmal und den Gartenkenotaph die Mätresse des preußischen Königs Friedrich Wilhelm II., Julie von Voß. Dabei geht es besonders um das höfische Ränkespiel, in dem die Beteiligten mit Hilfe von Erinnerungszeichen Einfluss zu nehmen versuchten.

Ähnlich macht Anna Ananieva in ihrem Text sichtbar, wie die Witwe des 1801 ermordeten Zaren Paul I. im Landschaftspark ihres Schlosses in Pavlosk bei St. Petersburg einen Mausoleumsbau errichten ließ, der zwar ein opulentes Grabmal, jedoch keine Bestattung enthält. Mit dieser individuellen Gedächtnisstiftung für ihren Gatten konterkarierte sie erfolgreich die "damnatio memoriae", die Paul I. drohte.

Zu nationalen Pilgerstätten wurden die Grabstätten der Gründerväter und Präsidenten der jungen USA, wie Michael G. Lee aufzeigt. Er beschreibt, wie die Gartengräber von George Washingtons in Mount Vernon und Thomas Jeffersons in Monticello entstanden und schon früh zu Publikumsmagneten wurden. Interessant ist dabei zu sehen, wie sich dort schon im 19. Jahrhundert der Gräbertourismus mit solchen Ausformungen, wie der Jagd nah Souvenieren und dem Wunsch nach melancholischen Emotionen, entwickelt hat. Das führte im Endeffekt zu einer Musealisierung der Anlagen, die noch heute hoch in der Gunst des amerikanischen Publikums stehen. 

Clemens Alexander Wimmer berichtet von den königlichen Beisetzungen im Charlottenburger Mausoleum und zeigt, wie das Hofzeremoniell im Laufe des 19. Jahrhundert die Teilnahme der Öffentlichkeit immer mehr berücksichtigte.

In seinen für mich besonders interessanten Beitrag untersucht Michael Niedermeier das Drehbergfest beim Wörlitzer Park. Unter Auswertung einer großen Zahl von zeitgenössischen Quellen beleuchtet er die Durchführung dieser Veranstaltungen, ihre sportlichen Momente und ihre Zielsetzung als "Totenagon", also der Antike nachempfundene Kampfspiele zu Ehren eines Verstorbenen. Die Spiele in Wörlitz gehen allerdings dem Tod ihres Veranstalters, des Fürsten Franz von Anhalt-Dessau weit vorraus und sind von der Hoffnung getragen, dass die Teilnehmer ihn später nach Eintritt seines Todes - in Verbindung mit der Erinnerung an diese Feste - im Gedächtnis behalten. Niedermeier zeigt auch auf, wie sich in direktem Anschluss an diese Feste, die von einer großen Zahl von Besuchern begleitet wurden, ein patriotischer Turnerkult entwickelte, bei dem die Sportplätze mit Gräbern sportlicher Vorbilder verbunden wurden. Dazu gehört auch das 1784 errichtete Philantropinum Schnepfental, wo sich in der Nähe historischen Turnplatzes noch heute ein Wäldchen befindet, in dem die Grabstätten der Gründer und vieler Lehrer liegen.

Interessant ist an diesen Beiträgen, dass die Verbindung von Grab und Parkanlage von der Seite der Benutzung und Inszenierung der Landschaft, die meist im Sinne höfischer Repräsentation geschah, betrachtet wird. Durch die teilweise ausführliche Heranziehung von Quellen werden so ganz neue Einblicke in die zeitgenössische Bedeutung der Anlagen möglich und gerade in den beiden "Memorial-Wäldern", dem Waldstück im Irrhain bei Nürnberg und dem - sehr frühen, wenn nicht frühesten - Waldfriedhof in Schnepfental kann man Vorläufer der Waldfriedhofsidee erkennen, die am Anfang des 19. Jahrhunderts mit dem Münchener Waldfriedhof seine erste kommunale Ausformung erhielt.

Natürlich entsprechen die Beiträge dem hohen wissenschaftlichen Anspruch der Veranstalter, weshalb sie sich nicht alle gleich flüssig lesen. Doch wird das aufgewogen von der Fülle von Informationen, Beziehungslinien und neuen Einblicken, mit denen die Autoren ihr jeweiliges Fachwissen vermitteln. Zahlreiche Abbildungen - allerdings nur in Schwarz-Weiß - illustrieren die Darlegungen. 


Annette Dorgerloh, Michael Niedermeier,Marcus Becker (Hg.), Grab und Memoria im frühen Landschaftsgarten, Paderborn 2015, Wilhelm FinkVerlag,  318 Seiten, inkl. CD-ROM, 128 s/w Abb., EUR 39.90